Lenny Bruce. Kein netter Goj von nebenan.

„The liberals can understand everything but people who don‘t understand them.“
Lenny Bruce

Nein, der nette Bursche von nebenan ist er nicht. Aber beginnen wir doch lieber bei den Anfängen dieses jüdisch-amerikanischen Komikers. Lenny Bruce wird als Leonard Alfred Schneider am 13. Oktober 1925 auf Long Island (New York) geboren. Als er fünf Jahre alt ist, lassen sich seine Eltern scheiden. Mit seiner Mutter Sally Marr, einer Komödiantin und Schauspielerin, kommt er bei diversen Verwandten unter. Im Alter von 17 geht er zur U.S. Navy, wo er bis 1946 dient, unter anderem auch in Europa. Ein Jahr später – mittlerweile nennt er sich Lenny Bruce – erhält er stolze 12 Dollar und eine Gratisportion Spaghetti für seine erste Stand-up Performance in einem Lokal in Brooklyn. Mit weiteren Auftritten in kleinen Clubs kann er sich knapp über Wasser halten. Als er bemerkt, dass seine einstudierten Witze und kurzen Gesangseinlagen bei den BesucherInnen nicht mehr so recht ankommen, beschließt er, auf eine Art Tournee zu gehen, bei der er sein Publikum mit Obszönitäten und Tabuthemen konfrontieren wird. Seine vorbereiteten Gags werden immer mehr von Improvisationen abgelöst. Mit einem Auftritt in der Talenteshow Arthur Godfrey‘s Talent Scouts Show beginnt seine Karriere in Schwung zu kommen. Doch die Chance weiter beim Fernsehen zu arbeiten, wird von ihm ausgeschlagen. „Dazu müsse sein Humor nach Auffassung der Produzenten ‘sauberer’ werden. Für eine obszöne Bemerkung, die Lenny bei einem vorherigen Auftritt herausgerutscht ist, soll er gar in aller Öffentlichkeit um Verzeihung bitten. Natürlich endet seine Entschuldigung in einem mittelschweren Eklat und dem aufstrebenden Jungkomiker wird von allen Seiten eine finstere Zukunft prophezeit.“ (Christian Lenchtieler; www.filmstarts.de/kritiken/Lenny.html#links)

Das Jahr 1951 hat es in sich: Lenny Bruce heiratet die Stripperin Honey Harlow. Nach einem Auftritt in Miami wird er verhaftet. Der Grund ist seine Darstellung eines fiktiven katholischen Priesters der gleichfalls erfundenen Brother Mathias Foundation, die für Leprakolonien in Britisch-Guyana Spenden sammeln soll. Von einem New Yorker Gericht wird er freigesprochen, da es a.) wirklich eine Leprakolonie in Britisch-Guyana gibt und b.) weil die Priester (diesmal sind es echte), denen er die Kleider für seinen Auftritt stahl, ihn bei einer Gegenüberstellung nicht wieder erkennen. Wie schon andere Komiker vor ihm absolviert Lenny Bruce seine Auftritte auch in den Catskills, einer beliebten Feriengegend jüdischer Familien aus New York – die deshalb Borschtsch-Gürtel genannt wird. Mark Kramer, dessen Vater dort ein Hotel besitzt, erinnert sich: „1950 engagierte mein Vater, Jack Kramer, Lenny Bruce als Zeremonienmeister für unser Hotel. (..) Lenny war großartig. Er machte Unfug, er tanzte, er erzählte Witze. Er war auch bei den alten Damen sehr beliebt. Mein Vater war glücklich. Deshalb engagierte er Lenny auch für die Saison 1951.“ Lenny schlägt Jack Kramer vor, dass er einige seiner Freunde für eine Show in das Casino einladen könne. Und so schafft er es, Jazzmusiker, Komiker und Stripperinnen in das lauschige Hotel zu bringen. Zum Entsetzen der Gäste und der Familie Kramer unterhalten diese sich in „schmutzigen Wörtern in New Yorker Slang und gebrochenem Jiddisch“ und bringen das ganze Haus durcheinander. Als Lenny Bruce während seiner Show das Publikum zu beleidigen beginnt, wird er von Jack Kramer hochkant rausgeworfen.


Im Jahre 1955 wird Tochter Kitty Bruce geboren. Doch die Ehe von Honey und Lenny Bruce geht bald endgültig in die Brüche. Lenny Bruce zieht weiter durch die Lande, 1961 wird er bei einem Jazz Workshop in San Francisco verhaftet, weil er Worte wie „cocksucker“ und „to come“ (hier eindeutig im sexuellen Kontext zu verstehen) auf offener Bühne verwendet. Bei der Gerichtsverhandlung wird Lenny Bruce von den Geschworenen freigesprochen. Bald gibt es erneute Anklagen, unter anderem in Philadelphia und Los Angeles, beide Male wegen Drogenbesitzes. Ende 1963 gerät er ins Visier des New Yorker Generalstaatsanwalts Frank Hogan und Francis Kardinal Spellman, dem Erzbischof von New York. Bei Auftritten im Cafe Au Go Go in Greenwich Village wird er von Polizisten in Zivil beobachtet und nach den Shows festgenommen. Der Grund (wir können ihn erahnen): diverse Obszönitäten – über 100 fourletter-words sollen während einer Performance gefallen sein. Obwohl sich bekannte Persönlichkeiten wie Jules Feiffer, Norman Mailer und James Baldwin für den erneut angeklagten Lenny Bruce einsetzen, wird er am 21. Dezember 1964 zu vier Monaten Arbeitshaus verurteilt. Er kommt auf Kaution frei, legt Berufung ein und wird freigesprochen. Auf Wunsch von Hugh Hefner verfasst Lenny Bruce, gemeinsam mit Paul Krassner, eine Biographie des Playboy-Gründers und beginnt auch seine eigene Autobiographie mit dem Titel „How to Talk Dirty and Influence People“ zu schreiben.

Lenny Bruce wird am 3. August 1966 mit einer Nadel im Arm in seinem Haus in Hollywood Hills tot aufgefunden. Die Todesursache lautet: Überdosis Rauschgift. Der amerikanische Autor Dick Schaap schreibt in seinem Nachruf: „Finally, one last four-letter word concerning Lenny Bruce: Dead. At forty. That‘s obscene.“
Der 1974 entstandene Film Lenny von Bob Fosse (wird im Rahmen der Jüdischen Filmwoche 2006 am Fr., 10.11. um 19:15 und am Do., 16.11. um 21:15 jeweils im Votivkino gezeigt) ist ein meisterhaftes Porträt des Komikers – voller Humor, aber auch Traurigkeit und Einsamkeit.

Am 23. Dezember 2003 wird Lenny Bruce vom New Yorker Gouverneur George Pataki für seine Obszönitätsverurteilungen nachträglich begnadigt. Es ist die erste und bisher einzige posthume Begnadigung in diesem Bundesstaat.
Wie sagt Lenny Bruce so schön: „There are no dirty words, only dirty minds.“

Monika Kaczek